Künstlerkacke

Was ich auch anpackte, es funktionierte nicht. Ich hatte nie Karriere gemacht, kein Auto, kein Pferd, und wenn ich doch mal Geld hatte, warf ich es aus dem Fenster. Nicht mal zu einer Familie hatte ich es gebracht, zumindest nicht auf Dauer. Nur wenn es gegen die irre Welt ging, bei Chaostagen etwa, diese legendäre Zusammenrottung von Versoffenen und Verlorenen, da war ich echt der King. Immerhin fand man mich bei Wikipedia, das imponierte sogar meiner Mutter.

Für sie würde ich immer »Peter« bleiben, und auch das Jobcenter hätte mit meinem Pseudonym nichts anzufangen gewußt, weshalb ich »Peter Altenburg« in den Bürgergeld-Antrag eingetragen hatte. Dieser Name stand in meinem Ausweis. Sie wußten nichts von meiner Doppelexistenz, und das war auch besser so, ich brauchte die Kohle.

Bei mir war Land unter - zu viel Arbeit, zu wenig Kohle. Ich beschäftigte mich von früh bis spät mit der Archivierung von Fotos aus alten Punk-Zeiten und stellte sie ins Internet, saß vor der Kiste und programmierte mir nen Wolf. Mein Leben ging drauf dafür, aber Geld kam dabei kaum rein. Das Ding war ein Magnet für Schnorrer - einmal Punk, immer Punk! Alles Leute wie ich, wir steckten fest.

Von Jobcenter zog ich eines Tages einen Brief aus dem Kasten, eine »Einladung« zu einem Telefonat. Der Wisch tat so, als ob’s was Gutes wäre und roch nach Ärger.

Eine Woche später der Anruf von Frau Petrovic, meiner »Beraterin«. Die Alte machte mich zur Schnecke. »Glauben Sie bloß nicht, daß das Arbeitsleben mit 61 vorbei ist. Wenn Sie nichts finden - wir finden was! Sie sind doch Programmierer, die werden gesucht.«

Nach dem Gespräch saß ich da, fühlte mich wie eine Mikrobe am Tag ihrer Geburt, winzig und bedeutungslos.

Dann ergriff ich erste Maßnahmen, ich mußte was tun. In die Offensive gehen. Aber wie? Ich schob mir eine Pizza rein.

Ein paar Tage später der nächste Brief. Diesmal war persönliches Erscheinen gefordert. Die Alte hatte also was ausgeheckt.

Gut. Ich mußte meine Tarnexistenz lüften, die Maske fallen lassen. Ihr zeigen, daß ich nicht ein Wurm war, den sie zertreten konnte. Ich würde mich outen und ihr empfehlen »Karl Nagel« zu googeln, und finden würde sie keinen Computer-Maxe, sondern einen KÜNSTLER. Einen der übelsten Sorte! Den Superpunk, den Kanzlerkandidaten, das MASTERMIND der ultrabrutalen CHAOSTAGE! Ich wollte ihr eine Ladung Angst und Schrecken verpassen und grinste angesichts dieser Vorstellung.

Das Programmieren schlug mir eh zunehmend auf die Birne, nach zwei Stunden HTML, PHP, JavaScript und MySQL sah ich Sterne und mußte mich hinlegen. Mein Hirn löste sich auf, lag’s am Alter? Verdammt, bevor ich zum sabbernden Wrack wurde, wollte ich lieber Künstler sein! Die waren zwar auch alle hinüber - aber mit deren verkommener Welt kam ich besser klar.

Zwei Wochen später, 8:10 Uhr Jobcenter. Ich in voller Montur, Nietenjacke, Hundehalsband, abgeranzte Jeans, HAMMERHEAD-Shirt, der Rucksack voller Beweise für die Ruhmestaten Nagels. Mein Leben als Clark Kent würde hier und heute enden, ich würde als SUPERMAN im Obergeschoß aus dem Fenster fliegen und anschließend die ganze Stadt in Schutt in Asche legen, so wie früher.

Ich betrat die Behörde und marschierte zur Rezeption, rückte auf Verlangen meinen Ausweis raus, zog die FFP2-Maske runter, damit sie sahen, daß ich ich war. Die Tussi im Glaskasten verglich Ausweis und Gesicht, tippte kurz was in ihrem Computer, dann sagte sie:

»Vielen Dank. Sie können jetzt wieder nach Hause fahren.«

»Nach Hause?««

»Sie können natürlich auch einkaufen gehen. Machen Sie doch, was Sie wollen.«

Sie hatten mich mal wieder gefickt. Und mich für einen Scheiß morgens um sechs aus dem Bett geschmissen. Für ewige Fahrerei zum Stadtrand, für zwei Tickets zu vier Euro achtzig, für die Zerstörung meines Traums von einem grandiosen Tag.

Ich ging zurück zur Haltestelle, nahm die nächste S-Bahn und betrachtete die Gesichter der Leute um mich herum. Statisten in meinem Leben, dachte ich. Und doch bloß vor die Tür gejagt, von einem Film, den ich nicht kannte. Leute wie ich. Wir hingen alle fest, während die Bahn einem Ziel entgegenfuhr, das der Streckenplan vorschrieb.

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