Kriegskunst
Ein Bild schaffen,
das sich für alle Zeit
beim Betrachter einbrennt,
davon träumen viele.
Aber wie fabriziert man sowas?
Nun, man muß es eben geschickt angehen,
phantasievoll und mit Liebe zum Detail.
Magische Farben
mit aufwühlenden Gefühlen mischen,
dazu autobiographische Ehrlichkeit,
radikal und provokativ präsentiert
bei einer exklusiven Vernissage.
Dann reicht's auch zur Unsterblichkeit.
Alles eine Frage der Vorbereitung.
Du hast lange überlegt.
Wie willst du Rita dein Meisterwerk servieren?
Mit einer packenden Rede?
Oder lieber stumm und bar jeder Regung?
Zum Frühstück oder zur Tagesschau?
Es soll schließlich für alle
ein unvergeßlicher Tag sein.
Schade, keine Chance,
hinterher ihr Gesicht zu sehen.
Die Verblüffung, ihr Entsetzen
über die Hakenkreuzfahne.
Ratlosigkeit.
Vielleicht Tränen wegen der Tiere.
Du zündetest eine Zigarette an,
beobachtest den Rauch,
der in einer hübsch verdrehten Fahne
zur Küchendecke emporsteigt,
wo Kater Mausi an einem Galgenstrick baumelt.
Dein Blick geht zur Schachtel: »Rauchen
senkt ihre Lebenserwartung«,
steht da in fetten Lettern.
Die langweiligste Art,
aus dem Leben zu scheiden.
Jahrelanger Lungenkrebs, Chemo, Schmerzen, die Familie am Totenbett, abkacken.
Nein, so billig soll sie nicht davonkommen.
Mit einem Klick
aktivierst du das iPad.
Auf dem Screen erscheinen Titten, Schwänze, Votzen.
SPRITZ IHR INS GESICHT!
FICK SIE IN DEN ARSCH!
Du arbeitetest dich eine Weile
durchs Fleisch,
bis eine gewaltige Spermaladung
auf dem Gesicht landet,
das dich gläsern aus dem iPad anglotzt.
Ciao, klick, aus, wieder dunkel.
Mit heruntergelassener Hose
sitzt du tiefenentspannt da,
grinst und grüßt die Goldfische und Guppies,
die im Aquarium
neugierig ein Hamsterpärchen umkreisen.
Dann öffnest du das Päckchen
mit den Rasierklingen,
die dir Rita gestern aus der Drogerie mitgebracht hat.
Ritzt hier und da und dort,
wo es eben geht und sinnvoll ist,
hauptsache tief und ab.
Sieht aus wie eine Currywurst
mit einem Schuß Mayo
und tut übel weh,
normal,
aber der Anblick entschädigt für vieles.
Dein Herz schlägt rote Wellen
auf weißer Haut,
ein Bild für die Götter.
Ja, wie gerne
würdest du ihr Gesicht sehen,
wenn sie und die Kinder
um Sieben nach Hause kommen.
Wenn sie versteht, daß du
wie ein Mann
gestorben bist,
gefallen im Kampf.
Durch die letzte Waffe,
die dir blieb.
Die Kunst.
Aus der Scheidung wird nichts,
aus dem Exodus,
aus dem neuen Leben ohne ihn.
Du wirst sie und die Kinder für immer begleiten.
So ist der Krieg.
Wer will schon morden und vergewaltigen,
solange man es sich
vor dem Fernseher bequem machen kann
und ab und zu ein Sonntagsbraten winkt!
Oder eine nasse Muschi.
Aber niemand kann sich das aussuchen.
Und Rita nicht das Bild,
das du ihr hinterläßt.
Pommes Rot-Weiß.
Genau, das wäre ein schöner Titel.