Nr. 640

In freier Wildbahn

Das Alphatier

Die Sonne verwandelte das Wageninnere in eine Sauna, die Seife in meinen Haaren lief mir übers Gesicht und brannte in den Augen. Das war normal an Tagen wie diesen. Als Punk hatte man das eben auszuhalten.

Ich saß in einem weißen Opel Rekord und war auf dem Weg nach München. Der Typ am Steuer war eindeutig schwul, das zeigte schon der Aufkleber hinten am Wagen. Kein Grund, nicht einzusteigen. Nach einer halben Stunde versuchte er, Hand bei mir anzulegen. »Ist o.k., daß du's versuchst«, sagte ich. »Aber ich steh' nicht auf Männer.«

Damit war das Thema vom Tisch.

 

Ich war Mitte der achtziger Jahre oft unterwegs, meist als Anhalter. Irgendjemand fand sich immer, der neugierig genug war, sich 'nen Typen mit Stachelfrisur und Lederjacke einzuladen.

Es war eine Zeit, in der alles einfacher für mich war. Ich fühlte mich echt und sagte, was ich wollte oder nicht wollte, und niemand heulte mich deswegen voll. Kein Internet, das dokumentierte, daß wir alle uns wie Idioten benahmen, kein WhatsApp, das uns anpiepte, als wären wir Hunde auf Abruf. Wir stolperten blind und ohne Google Maps durch den Tag. Die einen zerdepperten in der Fußgängerzone Bierflaschen, andere lärmten in Übungsräumen oder malten ihre Gedanken auf Papier. Leute wie ich hämmerten auf klapprigen Schreibmaschinen herum. Wir falteten Briefe, klebten Marken drauf und warfen unsere Botschaften in diese gelben Kästen mit dem schwarzen Posthorn. Wochenlang hungerten wir nach Worten des anderen, die vielleicht nie kamen.

Einigen von uns war das zu wenig. Sie stellten aus ihren getippten Elaboraten kleine Zeitschriften zusammen, die Fanzines hießen und photokopiert unter die Leute gebracht wurden. Wer so etwas tat, wurde schnell zum bunten Hund. Was nicht immer ein Segen war. Es gab Momente, in denen einem solch ein Ruf eine Faust ins Gesicht einbrachte. Vielleicht, weil man jemandem in einem Konzertbericht auf die Füße getreten war, oder weil einige glaubten, Leute wie wir müßten ab und an eins auf die Nase kriegen, damit sie sich bloß nichts auf ihre Tipperei einbildeten.

Ich war ein Punk, von ganzem Herzen. Außer Punk war mir nichts wichtig. Ich hatte keinen Fernseher und ging auch nicht ins Kino, las weder Sachbücher noch Belletristik, konnte mit Kunst nichts anfangen. Nicht mal an Sex dachte ich. Und wenn doch mal, brachte ich die Sache mit ein paar Handgriffen hinter mich.

 

Vor ein paar Wochen hatte ich Post bekommen. Als Collage aus Fotoschnipseln und Handgeschriebenem, von Steffi aus München. Sie fand es geil, daß ich mich per Schreibmaschine mit allen anlegte - mit Punks, Skinheads, Polit-Aktivisten, der Szene. Sie selbst war auch auf einigen Bildfetzen ihrer Briefcollage zu sehen. Sah cool aus. Ich dachte, sie steht auf mich, also machte ich mich auf den Weg nach Süden, und mein schwuler Chauffeur brachte mich fast bis ans Ziel. Den Rest des Weges fuhr ich schwarz mit der S-Bahn; in irgendeinem Kaff, dessen Namen ich längst vergessen habe, stieg ich aus.

Dort, in der Pampa, fand ein Punk-Festival statt. Open Air, 300 Leute, die je nach Laune Pogo tanzten, sich ins Koma soffen oder über irgendwelchen Scheiß laberten.

Nach 10 Minuten hatte ich sie aufgespürt, ich erkannte sie sofort. Steffi. Sah noch besser aus als auf den Fotofetzen.

»Hi«, sagte ich.

»Hi«, sagte sie.

Hm. Wir kamen ins Labern. Laberten, laberten, laberten. Laberten über Politik, Punk, Musik. Keine Ahnung, warum ich sie nicht einfach mal anfaßte, um zu sehen, was passiert. Ich weiß nicht mal mehr, ob sie große oder kleine Titten hatte oder wie ihr Arsch geformt war. Einen Ständer hatte ich bestimmt nicht, dafür hatte ich zu viel zu erzählen.

Zwanzig Meter entfernt taumelte ein Muskelberg durch die Gegend. Einsneunzig, Irokesenschnitt wie ein Indianerhäuptling.

»Den kenn' ich«, sagte ich. »Ex-Eishockey-Spieler. Der haut alle weg.«

Wir beobachteten, wie Cholera in einen Senfeimer latschte. Sein rechter Stiefel steckte fest wie ein Zahnstocher in einem verfaulten Zahn. Er fluchte und schimpfte, wedelte mit den Armen wie ein Schimpanse.

»Cholera ist ein Idiot«, sagte Steffi. »Hat Muskeln, aber nichts im Hirn. Was für 'ne Frau fällt denn auf so einen Schwachkopf rein?«

Ich nickte. Mir gefiel, daß sie nicht auf Muskelprotze stand. Ich selbst sah aus wie ein ausgemergelter Streuner neben diesem Fleischberg. Der auch empfindsame Seiten hatte, ich kannte ihn ja ein bißchen, aber egal. Ich war in diesem Moment nicht so bescheuert, ein Loblied auf Conan, den Barbaren, zu singen. Wir laberten weiter. Hatten zu jedem Scheiß was zu sagen. Steffi hielt mir einen Vortrag über Feminismus, ich stimmte ihr in allem zu.

Die Sonne sank, aber die Luft blieb dick wie Sirup.

Eine halbe Stunde später torkelte Cholera an uns vorbei. Sein Blick fiel auf Steffi. Er grinste breit.

»Di hob i o'scho' gfickt!«, grollte er und verschwand wieder in der Menge.

Ich hielt mir die Hände vors Gesicht, schob sie über die verfilzten Haare, tat, als hätte ich nichts mitbekommen.

»So ein Arschloch!«, sagte Steffi. »Brauchst gar nichts sagen, Nagel.«

Ich schaute zu Boden, dann zu Cholera, der in der Ferne mit seinem senf-beschmierten Stiefel prahlte.

Plötzlich lachte Steffi, wie 'ne Irre. Drehte sich um und ließ mich stehen.

O.k. War ja alles klar zwischen uns.

Die Nacht zog auf. Mehr Bier floß, nicht für mich.

Steffi tauchte noch einmal auf.

»Schick mir dein nächstes Fanzine«, sagte sie.

Was sollte das? Mir reichte es, ich mußte hier weg.

An der S-Bahn-Station traf ich auf Fröschl. Noch so ein Typ aus der Münchner Punk-Szene. Ich wußte, daß er malte und sich gerne beim Kampfsport prügelte. Ich erzählte ihm, was ich erlebt hatte. Er lachte.

»Mach dir nichts draus. Der Cholera hat schon die halbe Politszene gefickt«, sagte er und freute sich über das Erstaunen in meinem Gesicht. »Die Emanzen wollen alle mal herben Männerschweiß riechen. Wenn die's mit so einem treiben können, ist das Politgeschwätz in drei Sekunden vergessen.«

Ich nickte. Ich war der Mann fürs Labern. Und ich würde weiterhin tun, was ich am besten konnte. Würde der Typ mit den dünnen Armen bleiben. Mr. Bigbrain, ein Schwätzer, kein Alphatier.

Das waren die Regeln, nach denen die Welt tickte. Ich würde sie nicht ändern, die Hunde würden weiterhin ihr Bein heben und die Penner »Hasse ma ne Mark« plärren. Losverkäufer würden Glück verkaufen, Nutten, Kinder und Sparkassenagestellte ihren Arsch.

Ich war Teil des Spiels, aber ich würde mich von niemandem verarschen lassen. Auch nicht von meinem Schwanz.

Teile dieses Beitrags (Text, Bild, Audio, Video) wurde mit KI-Unterstützung zusammengeschraubt. Wenn Du wissen willst, wie das funktioniert - Karl lehrt die Anwendung von Künstlicher Intelligenz für Autoren, Illustratoren und Musiker.
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