IDIOTENKLAVIER 2005
Nr. 25
Nr. 25

Szenen einer Ehe

25. Kapitel - 1970

Daß die Ehe meiner Eltern auf einem nicht gerade stabilen und liebevollen Fundament stand, solltet ihr mittlerweile mitbekommen haben. Seltsamerweise haben wir das als Kinder nicht wirklich gepeilt. So war eben DIE WELT, und als Vertreter der ungewöhnlich erfolgreichen Gattung Homo Sapiens weiß man sich auch den widrigsten Situationen anzupassen. Eine Mischung aus scharfer Beobachtungsgabe, ständiger Verdrängung und der Bereitschaft, notfalls die Schuld an mehr oder minder ALLEM bei sich selbst zu suchen, sind dabei enorm hilfreich.

Nun, der ständige Streit meiner Eltern um Geld & Bier wuchs sich schließlich zur handfesten Ehekrise aus. Immer öfter flüchtete meine Mutter mit uns Kindern zu Frau Seldschopf oder zu Tante Christel, und schließlich drohte sie mit Scheidung.

Alles gute Gründe für meinen Vater, noch viel mehr Bier zu saufen. An so einem Kneipenabend gingen schon mal 20 Bierchen die Kehle runter.

 

Mein Vater hatte einen starken Hang zur Eifersucht und einen unterentwickelten Humor. Seine Kneipenfreunde machten sich diese Kombination manchmal zunutze, um ihn kräftig aufzuziehen. Der peilte natürlich nichts in seiner dichten Birne, wenn ihm ein Saufkumpel ins Ohr flötete:

„Deine Frau ist gerade mit einem anderen nach Haus gegangen.“

Da Bier nun den Intelligenzgrad nicht gerade erhöht, sprang der angeblich Gehörnte auf, ohne einen Gedanken zu verschwenden, eilte nach Hause und stürmte ins Schlafzimmer, wo meine Mutter gerade schlief. Mein Vater hielt sich nicht lange damit auf, sie zu wecken oder gar die Situation zu klären, sondern schlug seiner schlafenden Gattin einfach mit der flachen Hand ins Gesicht. Das hielt er wohl für ein angemessenes Mittel, um seinen Zorn möglichst stilvoll zum Ausdruck zu bringen. Sollte ja keiner seiner Freunde sagen, daß er sich so was einfach gefallen ließe!

Meine Mutter, die überhaupt nicht verstand, was überhaupt los war, bewies ein gutes Reaktionsvermögen: Sie versetzte ihm einen ordentlichen Fausthieb in den Magen, und meine Vater klappte röchelnd zusammen.

Das waren wohl die einzigen Argumente, die er gerade verstand.

 

Ein anderes Mal tyrannisierte mein sturzbesoffener Vater einmal mehr den Rest der Familie, bis meine Mutter es nicht mehr aushielt.

Ein paar Sachen gepackt, uns Kinder an die Hand, und raus aus der Bude, die Treppe runter.

„Wir gehen jetzt zu Frau Seldschopf!“

Brüllt mein Alter durch den Hausflur: „Hau doch ab, du alte Nutte!“ So daß es wirklich jeder hört!

Mama wieder rauf, ich hinterher. Mein Vater steht triumphierend im Türrahmen, grinst. Doch nicht lange. Doch Mutti fackelt nämlich nicht lange, sondern verpaßt ihm einen richtigen Schwinger. Der sitzt. Pappa klappt sofort im Türrahmen zusammen und liegt da mit glasigem Blick.

Ja, das war ein echter Treffer, auch in meinem Kopf.

Meine Mutter ließ sich wirklich nie was gefallen, es gab immer sofort Kontra. In ihrer Geradlinigkeit, Standfestigkeit und Bereitschaft zu durchaus auch handgreiflichen Argumenten fand ich sie einfach klasse. Obwohl völlig unpolitisch und unbeleckt von 68er-Rebellentum, hat sie mit Sicherheit mein Frauenbild entscheidend geprägt – dummerweise war Pappa fürs Männerbild zuständig, was doch zu manchen Kollisionen in Peters kleiner Murmel führte...

 

Damals ging’s in unserer Familie also weniger um gesellschaftliche Revolten, als um ganz gewöhnlichen Überlebenskampf, nach innen wie außen. Und natürlich bekam ich von dem politischen Zoff, der Ende der Sechziger gerade in Berlin und anderswo abging, nichts mit .

Ich interessierte mich wie andere Kinder mehr für Fußball und für die Mondlandung, die ich wegen der undeutlichen Bilder allerdings als völlig enttäuschend empfand.

Aber ich kannte durchaus diese langhaarigen Gestalten, die da ab und zu „musizierend“ auf dem Bildschirm aufkreuzten und irgendwas mit „jähjähjäh“ quäkten.

„Oh baby balla balla“ hier so ein Lied, und wenn wir Kinder wenn jemanden bescheuert fanden, dann war der eben ballaballa.

Da war ich ganz auf der Linie meiner Eltern und diverser Kneipenbekanntschaften, die diese Heinis als „arbeitscheues Pack“ abtaten. Stattdessen zollte man der wirklich guten Musik im Stile von Peter Alexander, Heino und Alexandra ein Loblied.

Also lernte ich anstelle von „Satisfaction“ und „Lucy in the Sky“ zunächst einmal „Hier ist ein Mensch“, „Karamba, Karacho, ein Whiskey“ und „Zigeunerjunge“ und sprach mich strikt gegen das ganze moderne Zeugs aus.

Heintje fand ich allerdings total doof. So eine Heulboje, der auf brav und wohlerzogen machte. Da mußte ich immer an die Drees-Jungs denken.

 

Natürlich hatte ich auch keine langen Haare und ließ mir beim Friseur gerne meinen „Mecki“ schneiden („Schaffnerschnitt - Alles nach vorne“ - das war der Standardspruch meiner Eltern dazu). Wenn die Haarschneidemaschine über den Nacken ratterte, genoß ich diese kratzende Massage geradezu (und ich genieße sie heute wieder!)

Auch meine Klamotten entsprachen genau dem, was Jungs in der Zeit eben trugen: Lederhose, Sandalen, oder eben Gummistiefel. Manchmal auch eine Jacke. Nur zu besonders feierlichen Anlässen wie etwa meiner Erstkommunion oder Oppas Beerdigung mußte ich Anzug und Fliege tragen.

 

„Peter, die Mamma will sich von mir scheiden lassen“, sagt mein Vater und trinkt erst mal einen Schluck Bier aus der Flasche.

„Aber so geht das nicht.“ Er wischt sich den Schaum vom Mund. „Ich habe eine Pistole“.

„Ach, das stimmt doch gar nicht!“, antworte ich. Kann ich mir gar nicht vorstellen.

Mein Vater öffnet eine Schublade der Schrankwand, und da liegt tatsächlich eine Pistole drin. Er holt die Pistole raus.

„Damit erschieße ich jetzt die Mamma. Und dann dich. Und zuletzt mich.“

Und steckt sich die Pistole in den Mund.

„Ist ganz sicher so.“

Ich springe auf und renne heulend ins Schlafzimmer, wo meine Mutter gerade einen Mittagsschlaf zwischen zwei Arbeitsstellen hält.

Ich rüttel undf schüttel meine Mutter, die auch sofort aufwacht.

„Mamma, der Pappa hat eine Pistole und will dich erschießen. Und mich auch.“

Meine Mutter springt aus Bett, rafft ein paar Sachen zusammen, zieht das Nötigste an, und raus aus der Wohnung. Zum Rechtsanwalt Möller, der gleich neben Drees sein Büro hat. Da, wo immer die schönen Frauen arbeiten.

Und dann sitzen wir da, und der Rechtsanwalt Möller hört sich unsere Geschichte an. Jetzt will sich meine Mutter endgültig scheiden lassen!

Die Waffe entpuppte sich zwar später als Gaspistole, und mein Vater gab sich plötzlich ganz kleinlaut, aber jetzt war die Kacke wirklich richtig am Dampfen und meinem Vater ging der Arsch auf Grundeis.

Schlagartig hörte die Sauferei auf, und schließlich kam es zum großen Versöhnungsgespräch in der Küche. Nach einer ganzen Weile kam mein Vater aus der Küche und sagte zu meiner Schwester und mir:

„Kommt mal rein. Die Mamma und ich müssen euch was fragen.“

Da hatte er einen wirklich guten Trick drauf:

„Die Mamma hat ja die Scheidung eingereicht, das wißt ihr ja. Ich will aber nicht mehr so viel Bier trinken und mich auch nicht mehr mit der Mamma streiten. Das verspreche ich euch.

Jetzt könnt ihr das entschieden. Wenn IHR wollt, daß eure Eltern zusammenbleiben, dann gibt Mamma mir noch mal eine Chance. Das müßt ihr jetzt entscheiden.“

Natürlich wollten wir. Wenn der Pappa doch versprach, mit dem Trinken aufzuhören, brauchte sich unsere Mutter doch nicht mehr scheiden zu lassen.

Meine Mutter zog die Scheidung zurück.

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