Briefe von Johnny Bruck an den ewigen Spinner
Eine Wahrsagerin, ein Autounfall und die Kunst, nicht zu verknöchern
Mit 18 war ich davon überzeugt, das Leben würde uns alle zu alten Säcken verknöchern, geistig unbeweglich wie ein Betonklotz. Doch dann bekam ich einen Brief von Johnny Bruck – und plötzlich wollte ich nur noch eins: alt werden, aber richtig!
Johnny Bruck, der König der Schundillustration in Deutschland, das unbekannte Genie hinter mindestens 5000 Farbbildern und und noch viel mehr Schwarzweiß-Illustrationen. Der Mann hat mehr Raumschiffe und Monster gemalt, als Du jemals in Deinem erbärmlichen Leben zu träumen wagst. Und als ich mit zehn das erste Mal sein PERRY-Cover am Comic-Ständer meines Kiosks sah, hat es mir gleich die Birne weggeschmolzen.
Von da an war es vorbei: Perry Rhodan hatte mich am Wickel, und Johnny Bruck steuerte die optische Droge bei – allein fürs Rhodan-Universum mehr als 3000 Cover, eins epischer als das andere. Während meine Kumpels von Mädchen träumten, hatte ich bruck’sche Weltraumabenteuer im Kopf. So ist das eben, wenn einem schon früh klar wird, daß der Alltag wenig Reiz bietet. Wenn mal von meinem Alten absieht, der sich in jener Zeit erfolgreicht totsoff.
Mit 18, man schrieb das Jahr 1979, voller Größenwahn und ohne Schamgefühl, beschloß ich, ihn für mein Fanzine FANTASTRIPS anzuschreiben. „Hey Johnny, wie wär’s, machst Du was für mich?“ Ich dachte, der alte Mann – immerhin 40 Jahre älter – lacht sich tot und antwortet nicht. Doch eines Tages lag da eine Rolle in meinem Flur. Drei Zeichnungen und ein ellenlanger Brief. Absender: Johnny Bruck!
Was in dem Brief stand? Pah, lies selbst, Du fauler Schnüffler! Wozu habe ich 8 Seiten eingescannt und in ein Album geschossen?
Wir telefonierten bald darauf, und ich lernte den Mann mit der tiefsten Stimme seit Darth Vader kennen. Ich verplapperte mich gewaltig, als ich ihm verriet, was seine Kollegen (die für die Innenillustrationen) bei Perry Rhodan an Honoraren kassierten. Ich hatte da ja einige Connections. Johnny schäumte vor Wut, und ich fragte mich kurz, ob ich aus dem Fenster springen sollte. Was darauf folgte, ist eine andere Geschichte, vielleicht ein anderes Mal.
Dann kam der März 1981, Johnny schrieb mir wieder, an seinem 60. Geburtstag. Aber ich hatte inzwischen Punk für mich entdeckt, und mein Leben drehte sich um Abrißhäuser, Punk-Gestalten und wie ich aus meinem stupiden Leben herauskam. Comics, Zeichnungen und Briefwechsel mit Illustratoren erschienen mir plötzlich so aufregend wie ein Mathetest. Es war vorbei mit FANTASTRIPS, das Zine mit dem ich die »nationale Zeichnerszene« revolutionieren wollte. Naja.
Doch Johnny blieb immer in meinem Kopf. Beim Vorbeigehen am Kiosk winkten mir seine Titelbilder zu – wie ein alter Freund, den man vergessen hat anzurufen. Manchmal dachte ich, ich sollte ihm Fotos von mir schicken – so als Anregung für seine nächsten Alien-Motive. Mit meiner Frisur und meinen Klamotten hätte ich als galaktisches Ungeheuer durchgehen können.
Doch dann kam dieser Scheißtag. Johnny Bruck, 74 Jahre alt, von einem Auto plattgemacht, obwohl er nie in eines gestiegen ist – aus Angst vor einem tödlichen Autounfall, den ihm eine Wahrsagerin prophezeit hatte. Na toll. Und ich saß da und dachte: Warum habe ich es immer auf „nächste Woche“ verschoben, ihm zu schreiben? Dieses verdammte »Morgen“!
Aber immerhin hat er mir eins gezeigt: Man muß nicht mit 18 die Spinner-Träume begraben, nur weil der Alltag ruft. Heute bin ich 63, und die Spinnerei ist fester Bestandteil meiner DNA. Johnny Bruck hat mir gezeigt, daß das Alter kein Gefängnis ist, sondern eine Lizenz zum Weitermachen. Man kann weiterträumen, bis einen der Blitz beim Scheißen trifft. Oder ein Auto.
Und genau das tue ich. Vielleicht bin ich nicht Johnny Bruck, aber ich bin immer noch hier, und die Zukunft gehört den Unbelehrbaren.