Andere Welten
Flucht in den Schund
Ich war gerade acht und Apollo 11 noch nicht auf dem Mond gelandet, als es heftig im Gebälk zu knirschen begann. Eines Tages schleppte mein Vater einen grünen, altmodischen Filmprojektor an, den er aus dem Nachlaß des alten Buschle abgestaubt hatte. Der war bis dahin Chef und Mentor Kurt Altenburgs gewesen.
Etliche Biere und HB-Zigaretten später – meine Schwester Anne-Marie und ich drängelten und drängelten, wir konnten es nicht erwarten – begann das Ding zu rattern und warf »Das tapfere Schneiderlein« an die Raufasertapete. Ein märchenhafter Lichtstrahl, durchwoben von Zigarettenrauch, zauberte bewegte Bilder herbei. Und das nicht im Kino, sondern bei uns zuhause! An jedem Ort, der einem gefiel! So lange es dunkel genug war und Strom aus der Steckdose kam. Mit offenem Mund verfolgte ich das Wunder und versuchte, die Magie dahinter zu begreifen.
Die Dinge lagen auf der Hand: Es gab nicht nur diese Welt – nicht nur Suff und Kippen! Nicht nur Wuppertal-Oberbarmen und die Kneipen, in denen mein Vater seine Wochenenden verbrachte! Man konnte ganze Welten erschaffen, wenn man mit Licht, mit Träumen und Ideen zu spielen verstand. Nein, mein Leben sollte keine Kneipe sein – sondern ein einziges Kino!
Ein paar Tage später warf mein Vater den Apparat und einen Berg Filme kurzerhand in den Müll. Alles zu anstrengend.
»Nimmt nur Platz weg!«, sagte er. Und ab in die Kneipe, ein paar kühle Blonde zischen. Kurt Altenburg wußte eben Prioritäten zu setzen.
Wie gut, daß es noch den Fernseher gab! Den hätte der Papa nie weggeworfen. Dann wäre ja auch Schluß mit der Sportschau gewesen. Kein Problem für mich, aber die Augsburger Puppenkiste wäre dann ebenfalls verstummt. Wo ich doch Urmel aus dem Eis und Kleiner König Kalle Wirsch vergötterte! Die ganze Puppenkiste rauf und runter. »Bill Bo und seine Bande, ziehn lang schon durch die Lande. Und weil sie keiner fangen kann, hängt keiner am Galgen dran!«
An manchen Tagen hampelte ich an unsichtbaren Fäden durchs Kinderzimmer und stellte mir vor, fliegen zu können. Träumte davon, wie Muhammad Ali leichtfüßig und unbeeindruckt von allen Widrigkeiten und Gefahren durch die Arena zu tanzen.
Und ich fragte mich, ob Menschen ebenso wie die Puppen an unsichtbaren Fäden hingen, gesteuert durch Spieler im Hintergrund. Kam mir jedenfalls manchmal so vor. Und hätte vieles erklärt, was ich an der Welt der Erwachsenen nicht begriff.
Kopfzerbrechen bereitete mir nur die Frage, wer der Puppenspieler sein könnte. Gott? Der Teufel?
Da mußte ich wohl mal Pfarrer Schulze fragen. Der verstand sich auf so was.
Pfarrer Schulze war mein Religionslehrer. Gleich in der ersten Stunde brachte er für alle Schüler ein Buch mit, aus dem die Kinder Geschichten vorlesen sollten. Jedem Text waren Illustrationen beigefügt.
Mir gefielen die Heiligenscheine und roten, glühenden Herzen, als die der Heilige Geist auf die Menschen niederfuhr. Gelegentlich gab es stark riechende Blätter mit Bildern drauf, die ausgemalt werden mußten. Sie wurden als ›Schnapsdruck‹ verspottet.
Der Pfarrer war ein fröhlicher Mann, der gerne losgelöst vom Buchtext fesselnde Geschichten aus dem Heiligen Buch erzählte. Oder von der Missionsarbeit der Kirche überall in der Welt. Mit Körpereinsatz, jubilierend und bewegt, einem Tanz gleich, hielt er die Klasse im Bann. Wir liebten Pfarrer Schulze.
»Ins ferne China, zu den Heiden, brachten Missionare den Menschen die Frohe Botschaft«, so begann er eines Tages ganz harmlos. »Sie waren beliebt, weil sie Gutes taten. Viele Chinesen ließen sich taufen und wurden zu Christen, nachdem sie von Jesus gehört hatten.«
Er lächelte gütig, sein perfides Vorspiel. Als satanische Wendung erhob er urplötzlich beide Hände in drohender Geste, die Augen blitzten.
»Doch dann kamen die Bolschewisten …!«
Des Pfarrers Stimme erbebte, seine Stirn legte sich in Falten, als er von den Schandtaten ominöser »Kommunisten« erzählt.
Das ist dieser verfluchten Bolschewist, bestialisches Grinsen und lange gelbe Zähne, den Krummsäbel erhoben. Den rammt er dann in die Nonne, zack, rein! Dazu ein krächzender Schrei! Hämisches Lachen des Roten, die Nonne haucht ihr Leben aus, ihre Seele strömt in Form eines feurigen Herzens gen Himmel!
So stellte ich mir das zumindest vor. Pfarrer Schulze half unserer Phantasie auf die Sprünge, und mir gefielen die schaurigen Bilder, die meine Tagträume dazu schufen.
Ein weiterer Grundstein für die Liebe zu einfach gestrickten, schockierenden und phantasievollen Geschichten – gemeinhin als »Schundliteratur« bekannt – wurde gelegt.
Und wieder einmal stand ein Botengang mit Bier und Zigaretten an, Papas Leibgericht mußte her, unser täglich Brot gib uns heute. »Sind so kleine Biere, sind so schnell dahin«, wie es bei Daily Terror 13 Jahre später so treffend hieß.
»Aber es geht wirklich nicht!«, bettelte ich.
Meine Hose hatte beim Spielen was abbekommen. Sie rutschte bei jedem Schritt, weil ein Knopf fehlte und der Reißverschluß kaputt war.
»ABMARSCH, LOS!«, brüllte mein Vater und schob mich in die Küche, wo das Leergut gebunkert war.
Es half kein Jammern und kein Weinen, ich mußte los.
Also die Flaschen wie gehabt vorsichtig in die Tüte, damit ich nicht mit Bierresten in Berührung kam, und ab zur Pommesbude. In der einen Hand die schwere Tüte, die andere den Hosenbund umklammernd. Die Vorstellung, die Hose könnte meinen Fingern entgleiten, jagte mir eine Heidenangst ein. Ich stünde auf der Straße in Unterhose da! Und alle würden mich auslachen!
Der Höllenritt zu Hähnchen Helmig plus Rückweg dauerte höchstens eine Viertelstunde – ich empfand ihn so lang wie eine Schwebebahnfahrt nach Südafrika. Und schwor, nie so zu werden wie mein Vater und niemals Bier zu trinken! Unverrückbar, für ewig.
Irgendwann begannen mich Fix und Foxi zu langweilen, ich stieg auf härteren Stoff um. Auf Perry – Unser Mann im All! Eine Comic-Reihe mit von Weltraumpest zerfressenen Raumschiffen, unberechenbaren Außerirdischen und galaxisweiten Kriegen satt. Das war echter Fortschritt – und es sollte noch besser werden!
Urplötzlich, von einem Heft zum anderen, revolutionierte sich der Perry-Look: Nun wirbelten die Bilder mit Schwung über die Seiten, neben den heißgeliebten Kugelraumern flogen nackte, langbeinige Schönheiten durchs All. Das war nicht länger schwarz, sondern knallbunt, durchzogen von surrealen Schlieren. Ein gezeichneter LSD-Trip, verwirrend, bedrohlich. Weltraum-Musik als utopischer Comic.
Das und die Armada praller Brüste und strammer Schenkel, die vollen Lippen und ausladenden Ärsche wirkten einwandfrei verboten und genau deshalb attraktiv und heiß. Ich kam mir mit einem Mal älter und reifer vor.
Eines Tages fiel meiner Mutter ein Perry in die Hände. (Ich hatte ein besonders schönes Heft unter der Matratze versteckt, klassisch und einfallslos!) Neugierig, aber nichtsahnend blätterte sie in ihrem Fund und entdeckte, was ihr braver Sohnemann bislang heimlich verschlang: nackte Mädchen, daherspazierend in erotischen Posen! Ausgerechnet in der von ihr aufgespürten Ausgabe flogen zu allem Unglück abgerissene, blutige Köpfe durch die Gegend!
Die »Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften« reagierte genauso empört wie meine Mutter – mit dem Unterschied, daß Erstere Perry 38 nur auf den Index setzte, Letztere jedoch das »Schundheft« nicht nur konfiszierte, sondern zusätzlich Ohrfeigen verteilte.
Der Ärger rund um Sex & Gewalt minderte nicht im Geringsten mein Interesse an Perry. Kein Heft habe ich mehr verpaßt! Daneben hielt ich gierig nach allem Ausschau, was als »Schund« galt. Und das war nicht wenig.
Eines Tages vermachte mir Berger eine ganze Kiste Perry-Rhodan-Heftromane. Der wohnte im gleichen Block wie ich und war eine Leseratte. Ich mochte ihn zwar nicht, aber wenn er mich mit Geschenken überhäufen wollte, sagte ich nicht Nein.
Zuhause sah ich mir die Hefte genauer an. Klasse, mein Freund Perry, aber nicht als Comic, sondern was zum Lesen! Auf den Titelbildern kämpfende Roboter, explodierende Raumschiffe und brüllende Monster oder Raumsoldaten – hier wurde der Puls ununterbrochen auf 180 gehalten.
Im Innenteil Text. Wie ein Buch. Kaum Bilder. Ich saß ratlos vor den Heften, verstand nichts – bis eines Tages die kryptischen Worte ihr Geheimnis lüfteten und der Groschen fiel.
In Perry Rhodan hatte alles Hand und Fuß! Da wurden einem keine Kinder-Märchen aufgetischt, sondern Geschichten erzählt, die auf Wissenschaft und Technik fußten. Irgendwie. Über den Hyperraum! Unsterblichkeit durch Zellaktivatoren! Planetenumspannende Computer! Roboter, die nach dem Wahren Leben suchten! Akribisch erdacht von Autoren, die von der Materie was verstanden. Dazu in einigen Ausgaben detaillierte technische Illustrationen der Raumschiffe.
Ich wollte diese Raumer haben, die Zeichnungen mußten raus aus den Heften, hinein in die Hand, um sie darin zu fühlen und zu erleben. Wie Porno-Pinups für Elfjährige! Könnte man Raumschiffe vögeln – ich hätte es getan!
Mir erschloß sich ein unerschöpflich erscheinendes Universum aus Galaxien, Völkern und Weltraumabenteuern. Hurra! Weiter hinein in eine Welt, in der niemand »Peter, hol mal Bier aus dem Kühlschrank« brüllte!
In der Kneipe meiner Eltern – mein Vater hatte mittlerweile sein Hobby zum Beruf gemacht – fand ich einen Verbündeten. Rolli war 43, ein ewiger Junggeselle, der bei seiner grantigen Großmutter wohnte, sich in der »Bauernstube« die Birne zuknallte und mich mit Schundromanen aller Art versorgte. Er schob mir neben Perry-Rhodan-Romanen stapelweise Grusel-Krimis von Dan Shocker zu – »Bis die Ratten dich zerfetzen« und »Im Todesgriff der Schreckensmumie«, so schrie es mir von den Titelbildern entgegen. Von den Landser-Heften, die Rolli mir ebenfalls rüberreichte, hatte ich mir allerdings mehr versprochen. Da fand ich jedes Geschichtsbuch interessanter.
Ich brauchte mehr Perry Rhodan, schließlich waren bereits über 500 Hefte erschienen. Wieder war es Berger, der den entscheidenden Tipp gab.
»In der Gold-Passage gibt’s doch diesen Second-Hand-Laden. Kennste?«
»Klar. 40 Pfennig pro Heft!«
»Für mich umsonst. Der Eigentümer rennt ständig in den Sex-Shop gegenüber. Und mit ’nem weiten Pullover und flinken Händen geht ’ne Menge!«
Ich hatte einen weiten Pullover, das mit den flinken Händen war auch kein Problem. Einen Perry-Rhodan-Club wollte Berger jedoch nicht mit mir gründen, er war längst auf anderen Pfaden unterwegs.
»Heftromane langweilen«, erklärte er. »Alice Cooper, der schockt richtig!«
Ich war zwölf, als ich IHN traf!
Der Herr und Meister, die Krönung meiner Schundhefte: Alice Cooper! Das Bühnenmonster, das Legionen von Eltern bis in den Schlaf verfolgte, sobald sie es erst einmal auf den Posterwänden ihrer Kinder entdeckt hatten. Sie haßten Alice, ich vergötterte ihn.
Anfangs hatte ich Bergers Tipp in Sachen Alice Cooper ignoriert. Die Nummer mit den angemalten Augen fand ich lächerlich. Eine Weile später las ich in der Bravo, daß Alice auf der Bühne Babypuppen in Stücke schlug und sich am Galgen aufknüpfen ließ. Ich wurde neugierig: Das ist ja genauso wie in Dan Shockers Grusel-Krimis!
Als ich Alice Cooper bei Disco in zerfetzten Klamotten über die Mattscheibe taumeln sah, fiel der Groschen. Ich hielt den Atem an: Da war er wieder, dieser Blick in die Wunder-Welt! Aber in einer ganz anderen Liga – hier tummelten sich keine Märchenfiguren, Comichelden und Vampire in Schundheften, sondern Menschen ließen die Puppen tanzen! Alice Cooper samt Band hatten den Dreh gefunden, die Fesseln des ganz normalen Lebens abzustreifen und es in eine schillernde Bühne zu verwandeln. Das wollte ich auch!
Daß Alice soff wie ein Loch, ging in Ordnung. Machte man als Mann anscheinend so. Kein Problem, ich hatte nicht vor, einer zu werden.
Am nächsten Tag kaufte ich mir für fünf Mark »No More Mr. Nice Guy« und damit die erste Single meines Lebens.
Als ich Berger davon erzählte, bestritt der entschieden, jemals was Gutes über Alice Cooper gesagt zu haben. Stattdessen hörte er jetzt Black Sabbath.
Eines Nachts stürzte mein Vater im Suff die Treppe einer Fußgängerunterführung hinunter – Oberschenkelhalsbruch!
Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war er für eine Weile ans Bett gefesselt und mußte in Urinflaschen pissen, die ich im Klo entleeren durfte. Das blieb mein Job, selbst als er sich wieder in der Wohnung bewegen konnte. Er hatte Gefallen daran gefunden, den Schwanz in die Pißflasche zu stecken und sich im Nullkommanichts zu erleichtern, ohne aufstehen zu müssen. Den Schlafanzug zog er nicht mehr aus, von seinen quittegelben Unterhosen ganz zu schweigen. Und ständig lag ein beißender Geruch von Bierschiß in der Luft.
Ich entschloß mich, den Alten zu erpressen. Es fing mit dem Leergut an, das ab sofort mir gehörte. Und eines Tages machte ich klar, wer Koch und wer Kellner war.
Wieder einmal sollte ich Bier und Kippen holen.
»Keine Lust.«
»Ist doch nicht weit, geht ganz schnell. Nur zwei Flaschen Wicküler …«
»Nö. Meine Hausaufgaben gehen vor.«
Der Alte rang nach Worten, schaute mich nur an. Wartete ein paar Sekunden. Dann fiel er auf die Knie und begann zu weinen.
»Bitte …!«
Scheiße. Dieses Elend wollte ich mir nicht länger ansehen.
»Na gut, ausnahmsweise. Aber nur, wenn du mir die 22 Mark für die neue Alice-Cooper-Platte gibst.« Die hieß »Billion Dollar Babies«, war soeben erschienen und konnte ich mir nicht leisten bei zehn Mark Taschengeld im Monat.
Der Alte erhob sich, sagte nichts und zog mit zittrigen Händen ein paar Scheine aus dem Portemonnaie. Er lächelte wie eine hölzerne Bill-Bo-Puppe. Wer ist dieser Junge?, schien er zu denken.
Ich hatte einen klaren Standpunkt: Hole ich dem Jammerlappen eben sein Bier. Die Platte ist mein, redlich erworben!
Die Scheibe war ein Kracher: grünes Klappcover im Schlangenhautdesign. Riesiger Dollar-Geldschein mit Alice-Motiv, Kärtchen zum Raustrennen. Und Songs, in die ich mich sofort verliebte. Besonders in einen:
»I love the dead before they’re cold
They’re blueing flesh for me to hold
Cadaver eyes upon me see nothing«.
Alice ließ sich jetzt auf der Bühne von einer Guillotine KÖPFEN, wie ich in der Bravo las. Das gefiel mir, weil ich meinen Horrorkonsum längst ausgeweitet hatte. Nicht mehr nur Dan Shockers Grusel-Krimi standen auf dem Speiseplan, sondern ebenso Professor Zamorra, Vampir-Horror-Roman, Gespenster-Krimi, Geister-Krimi. Der neue Comic Vampirella, Bücher über die Nazis, Krieg und KZs. Mein morbider Alltag.
Irgendwann hatte meine Mutter die Nase voll von Suff und Verfall ihres Gatten und warf den Zombie kurzerhand raus. Mein Vater war längst ein Wrack und hatte mit 39 Jahren die Frührente eingereicht; er zog zu Oma, die im gleichen Klotz wie wir wohnte. Nicht gerade eine optimale Distanz. Auch der juristische Clinch rund um die Scheidung wurde nun mit harten Bandagen geführt. Ein Schlagabtausch jagte den nächsten, die Altenburgs im Krieg.
In der Nacht vom 30. auf den 31. Oktober 1974 saß ich mit meiner Mutter vor dem Fernseher. Muhammad Ali trat an, den Weltmeistertitel im Schwergewicht zurückzuerobern. Der war ihm einige Jahre zuvor wegen Kriegsdienstverweigerung aberkannt worden. Weil Ali nicht nach Vietnam wollte, entzog man ihm die Boxlizenz.
Nun ging es gegen einen der härtesten Schläger der Boxgeschichte: George Foreman. Ein Typ, der im Training Sandsäcke unter seinen Fäusten zerplatzen ließ!
Meine Mutter und ich, wir waren echte Ali-Fans, nachts um drei quälten wir uns für diesen Kampf aus dem Bett. Wir wollten den Tänzer mit den leuchtenden Augen gewinnen sehen. Liebten Alis Standhaftigkeit, Eleganz und loses Maul.
Der Fight verlief nicht nach unserem Geschmack. In der achten Runde sah es schlecht für Ali aus, er hing in den Seilen, bedrängt von Foreman durch eine endlose Serie Körpertreffer. Aber dann: Der sichere Verlierer tanzte plötzlich wie in alten Tagen schnell wie ein Schmetterling durch den Ring; ein Satz präziser Schläge beförderte den total erschöpften Foreman auf die Bretter. Zack, Ende, aus! ALI IST DER GRÖSSTE!
Intelligenz hatte über rohe Kraft triumphiert! Warum sollte das nicht auch mir möglich sein? Das, was man im Kopf hatte, konnte einem niemand wegnehmen.
Daß mein Alter zum gleichen Zeitpunkt, nur hundert Meter entfernt, ebenfalls Alis Sieg bejubelte, paßte nicht in meine Weltformel. Denn das Hirn Kurt Altenburgs war längst zu einer prä-dementen Ruine zerbröselt.
Sieben Monate später raffte es den Rest seines Körpers dahin. Gerne hätte ich bei der Beerdigung »I Love The Dead« vor der versammelten Verwandtschaft gesungen, aber die Zeit war noch nicht reif für eigene Schock-Auftritte.
Angesichts der Vorstellung einer Friedhofsshow à la Alice Cooper mußte ich lachen. Die »gute alte Zeit« war ein versoffener Witz, so viel stand fest.
Aber die damit zusammenhängende Hirnerweichung schien weitverbreitet zu sein, ich wäre fast selbst darauf hereingefallen. Wenn die Scheiße nur lange genug zurücklag, dann blühten bei vielen die Wachträume über eine Zeit, in der sie in Saft und Kraft standen und sich im Zentrum allen Seins wähnten. Ja, als man jung war, da konnte man die Nächte durchsaufen und war trotzdem am nächsten Tag fit!
Und wenn man bislang noch kein einziges Bier getrunken hatte?
Durfte ich überhaupt mitreden über Punk, das Leben und den Tod? War ich ein Feigling, weil ich anderen immer nur beim Saufen zugeschaut und mich nie selbst abgeschossen hatte? War es an der Zeit, mich meinem Dämon zu stellen?
Ich erwarte, erneut Biff Tannens Stimme zu vernehmen, aber diesmal hielt er die Fresse.
Also auf zum Kiosk und ein kleines Bierexperiment starten, oder was?
Die "gute alte Zeit" hat's nie gegeben, soviel ist klar. Die Gegenwart jedoch verspricht auch nicht viel Hoffnung - und dann ist da noch der Kampf gegen die INVASOREN
In der nächsten Folge!