
Modernes Sterben
Das Drohnentod-Paradoxum in deinem Alltag
6:30 Uhr. Dreckszeit. Das Smartphone leuchtet wie eine kleine Supernova im Dunkeln. Ich scrolle durch die Nachrichtenhölle. Ukraine. Putin. Trump. Drohnen. Tote. Eine Hochhaus in einer Stadt namens Fuck-weiß-ich brennt. Ein anderer Ort zerfällt in Pixelstaub. BREAKING NEWS! URGENT! Kriegsporno in Echtzeit, während mein Kaffee kalt wird.
Ich putze mir trotzdem die Zähne. Als würde das irgendeinen Unterschied machen.
1. Die verfickte Umkehrung
Schon klar, wir müssen alle sterben — aber nicht durch Atombomben. Warum? Weil sie zu gut funktionieren.
Diese ganze nukleare Abschreckungsscheiße war die größte Verarsche des 20. Jahrhunderts. “Wir bauen die ultimative Waffe und deshalb wird es keinen Krieg mehr geben!” Klar, und Pornos reduzieren Vergewaltigungen, Waffenbesitz stoppt Amokläufe, und Alkohol macht glücklich.
“Putin kann keine Atomwaffen einsetzen. Keiner kann das.”, sagt mein Nachbar Thomas, 42, Projektmanager bei einer Scheißversicherung. Er sagt das mit dem gleichen Gesichtsausdruck, mit dem er über seine Kreditkonditionen redet.
“Deswegen kann er alles andere machen. Alles. Unterhalb der Atombombenschwelle ist jetzt ALLES MÖGLICH.”
Thomas leckt sich die Lippen, während er das sagt. Sein neues Elektroauto steht vor der Tür. 78.000 Euro. Mit beheizten Ledersitzen. Falls der Weltuntergang kommt, will Thomas wenigstens einen warmen Arsch haben.
DESHALB KEHRT DER TOD IN DEINEN ALLTAG ZURÜCK: Nicht weil die Atombomben fliegen, sondern weil sie es nicht tun. Die ultimative Waffe hat den ultimativen Krieg verhindert und dafür tausend kleine Kriege ermöglicht. Und jetzt, wo der Groschen gefallen ist, daß mittlerweile auch mehr geht, ohne daß die Welt explodiert, sind die großen Kriege an der Reihe. Kriege, die nicht alle auf einmal töten, sondern langsam, selektiv, als tägliches Risiko – nicht Autounfälle oder Herzinfarkten unähnlicher, nur LAUTER und EXZESSIVER.
Fortschritt, Baby!
2. Kriegsporno Deluxe
Ich sitze in dieser Dreckskneipe, die “Irish Pub” heißt, obwohl der Besitzer aus Gelsenkirchen kommt. MARKUS™, 38, IT-Fuzzi, schiebt mir sein Handy rüber. Ein Drohnenvideo. Gestochen scharf. Ein Panzer explodiert. Menschen brennen.
“Das ist wie Call of Duty”, sagt Markus. “Nur echt.” Er grinst. Seine Zähne sind zu weiß. Wahrscheinlich gebleacht. “Kraß, oder?”
Ich nicke und trinke mein Bier. Was soll ich sonst tun? Ihm ins Gesicht schlagen? Ihm sagen, daß er gerade echte Menschen beim Sterben beobachtet?
Die Digitalisierung des Todes ist die eigentliche Perversion. Jeder kann jetzt zusehen, wie Menschen in HD verbrennen. Zwischen TikTok-Tänzen und Katzenmemes. Swipe nach oben für Kriegsverbrechen, Swipe nach unten für Backrezepte. Und jeder weiß, daß es sich nicht um Hollywood-CGI handelt. Oder vielleicht doch? Weil KI-gebruzzelt?
Die Grenzen verschwimmen. Fiktion, Realität, Simulation – alles schmilzt zusammen in deinem Smartphone. Du siehst einen Drohnenangriff und denkst: “Die Grafik ist echt gut geworden.”
Deine Gehirnchemie unterscheidet nicht mehr zwischen CGI und echtem Tod. Beides gibt dir den gleichen Dopamin-Kick.
Manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt noch einen richtigen Krieg bräuchten. Die Simulation reicht doch völlig aus, um uns kaputtzumachen.
3. Generationen-Bullshit
Meine Eltern hatten wenigstens noch den Anstand, konkrete Todesangst zu haben. “Die Russen kommen mit Atomraketen!” Das war einfach. Klar. Verständlich.
HIROSHIMA 2.0 – COMING SOON TO A CITY NEAR YOU!
Diese Klarheit gibt’s nicht mehr. Wir wissen nicht mal, vor welcher Scheiße wir Angst haben sollen.
Meine Schwester Lisa, 49, Grundschullehrerin, Lebensversicherung, Eigentumswohnung, bald geschieden, sagt: “Soll ich jetzt vor Drohnen Angst haben? Vor Cyberangriffen? Vor einer KÜNSTLICHEN INTELLIGENZ, die durchdreht? Oder vor Deepfakes, die einen Kriegsgrund fabrizieren?”
ANSWER: ALL OF THE ABOVE!
Sie lacht dabei, aber ihre Augen sind tot wie bei einem ausgestopften Tier.
Das verfickte Paradox: Die Kriegstechnologie wird immer futuristischer, während wir zurück in die Steinzeit rutschen. NeandertalerInnen mit Smartphones, die darauf warten, daß jemand auf den roten Knopf drückt.
Zwischenspiel: Realitätverlust
Letzte Nacht träumte ich, daß Drohnen über Hamburg kreisen. Kleine schwarze Punkte am Himmel. Wie Mücken. Sie summten. Ich konnte das Summen durch geschlossene Fenster hören.
Keiner schaute nach oben. Die Menschen gingen einfach weiter. Sie kauften Brötchen. Sie standen an Ampeln. Sie starrten auf ihre Handys.
Das Summen wurde lauter.
Ich wollte schreien: “SCHAUT NACH OBEN! SIE SIND HIER!”
Aber mein Mund war voller Blut.
4. Die Ukrainisierung des Alltags
In Kiew gehen Menschen zur Arbeit, während die Luftabwehr kracht. Sie haben Handy-Apps, die vor Drohnenangriffen warnen. Wie bei uns die Wetter-App oder Tinder. “Heute leichter Raketenbeschuß im Norden, dafür sonnig im Süden!”
Wir im Westen schauen zu und denken insgeheim: “Könnte ich das auch? So cool bleiben, während der Tod vom Himmel regnet?”
SPOILER: Ja, könntest du. Der Mensch gewöhnt sich an alles. An KZs. An Gulags. An Massenerschießungen. An Bombenangriffe. Die evolutionäre Superkraft unserer Spezies ist nicht die Intelligenz, sondern die Fähigkeit, sich an jede Scheiße anzupassen und dann so zu tun, als wäre sie normal.
Erinnerst du dich an 9/11? An dieses Gefühl, daß nichts mehr sein wird wie zuvor? Und wie schnell wir zurückgekehrt sind zur Normalität?
Das ist die eigentliche Horrorshow: Nicht daß die Welt untergeht, sondern daß wir uns daran gewöhnen werden.
5. Die territoriale Rückkehr
Wir dachten, wir wären darüber hinaus. Über diesen primitiven Scheiß mit Grenzen und Flaggen und “MEIN LAND! DEIN LAND! BOOM!”
Wir dachten, im Zeitalter von Bitcoin und TikTok und globalem Kapitalismus würde niemand mehr für ein Stück Erde sterben wollen.
FALSCH GEDACHT, ARSCHLOCH!
Putin hat uns brutal daran erinnert, daß die Welt immer noch aus Dreck besteht. Aus Territorium. Aus Land, für das Menschen bereit sind zu sterben und zu töten.
Der ukrainische Bauer, der seinen Hof verteidigt, und der russische Soldat, der für “Mütterchen Rußland” stirbt – sie erinnern uns an die primitive Wahrheit: Grenzen werden mit Leichen markiert, nicht mit Google Maps-Pins.
In unseren klimatisierten Büros haben wir vergessen, wie Erde riecht, wenn sie mit Blut getränkt ist.
Jetzt werden wir daran erinnert.
Buffer Overflow: Emotionale Überlastung
Ich sitze auf dem Balkon meiner Einzimmer-Scheißwohnung im vierten Stock. Wenn ich mich über das Geländer lehne und nach links schaue, kann ich ein Stück vom Hafen sehen. Containerschiffe. Kräne. Der globale Kapitalismus in Aktion.
Am Himmel ein. Mir wird irgendwie unwohl.
“Es ist nur ein verdammtes Passagierflugzeug”, sage ich zu mir selbst. “Kein Bomber. Keine Drohne.”
Aber für einen Sekundenbruchteil war ich dort. In DORT. In der Realität, die wir alle verdrängen. In der Tod vom Himmel fällt.
Mein Herz rast. Ich zünde eine Zigarette an. Meine Hände zittern.
Diese Momente werden häufiger. Diese Risse in der Matrix. Diese kurzen Blicke auf die andere Seite des Spiegels.
Wo die Realität auf uns wartet. Mit Klauen und Zähnen.
6. Die digitale Kastrierung
Wir sind so unfaßbar GEFICKT. Die technologisch fortschrittlichste Zivilisation der Geschichte ist gleichzeitig die verwundbarste.
Thomas, der Projektmanagertyp, fragt mich: “Weißt du, was du machen würdest, wenn morgen kein Internet, kein Strom, kein fließend Wasser mehr da wäre?”
“Sterben?”, schlage ich vor.
“Exakt”, sagt er und nippt an seinem Bio-Filterkaffee.
Ein gezielter elektromagnetischer Impuls könnte in Sekunden mehr Schaden anrichten als wochenlange Bombardements im Zweiten Weltkrieg. Die meisten von uns wüßten nicht mal, wie man ein Feuer macht ohne YouTube-Tutorial.
Und wir? Wir diskutieren über Pronomen und Gendersternchen, als wäre das unser größtes Problem.
7. Die moralische Impotenz
Im Zweiten Weltkrieg gab es Rationierungskarten. Verdunkelungspflicht. Luftschutzbunker. Jeder war betroffen. Jeder war Teil der “Kriegsanstrengung”.
Heute? Wir posten “PRAY FOR UKRAINE” auf Instagram, während wir uns einen Frappuccino gönnen.
Der Krieg ist woanders. Immer woanders. Ein paralleles Universum, in dem Menschen sterben, während wir unser Leben leben.
“Ist es nicht krank”, fragt Eva, 36, Grafikdesignerin, beim Brunch, “daß wir hier sitzen und über den Krieg reden, als wäre es eine Netflix-Serie?”
Sie beißt in ihr Avocado-Toast. 12,50 Euro. Die Ironie entgeht ihr völlig.
“Ja”, sage ich. “Aber was sollen wir sonst tun?”
Sie zuckt mit den Schultern. Niemand hat eine Antwort.
Das ist die moralische Impotenz unserer Zeit: Wir wissen, daß wir Teil des Problems sind, aber wir haben keine Ahnung, wie wir Teil der Lösung sein könnten.
8. Die Gleichzeitigkeit von Scheiße
Der eigentliche Mindfuck ist die Gleichzeitigkeit von allem. Während in der Ukraine Städte in Schutt und Asche gelegt werden, diskutieren wir über Kryptowährungen und vegane Ernährung.
Es ist, als würden wir in zwei verschiedenen Zeitlinien gleichzeitig leben:
ZEITLINIE A: Woke Bullshit, First-World-Problems, Identitätskrisen und Klimaziele. ZEITLINIE B: Rückkehr zur brutalen Steinzeit – Krieg, Grenzkonflikte, Massenvernichtung.
Diese kognitive Dissonanz zerreißt uns innerlich. Also spalten wir unser Bewußtsein. Schizophrenie als Überlebensstrategie.
Am Morgen lesen wir über Massengräber in der Ukraine. Am Mittag streiten wir über Mikroaggressionen am Arbeitsplatz. Am Abend schauen wir Netflix und chillen.
Warum? Weil wir jetzt zwei parallele Betriebssysteme in unseren Köpfen laufen lassen: EmpathyOS™ und SurvivalOS™. Ständiges Umschalten zwischen “OMG, DIE WELT GEHT UNTER!” und “Was gibt’s heute zum Abendessen?”
9. Die Alten hatten Recht (teilweise!)
Meine Tante Gisela, 82, Überlebende von zwei Weltkriegen (obwohl sie nur einen davon erlebt hat, aber scheiß auf Mathematik), lacht bitter, als ich mit ihr über meine Ängste spreche.
“Ihr jungen Leute”, krächzt sie, obwohl ich verfickte 62 bin, “ihr habt geglaubt, daß der Frieden normal ist. Wir Alten wußten immer, daß er die Ausnahme ist.”
Der Frieden war eine Anomalie. Ein kurzer Moment der Stille zwischen zwei Explosionen. Eine historische Abweichung, keine Norm.
Das Problem ist: Wir haben diesen kurzen Moment für den Normalzustand gehalten. Wir haben Häuser darauf gebaut. Karrieren geplant. Kinder gemacht. Alles auf der Annahme, daß der Frieden ewig halten würde.
Und jetzt? Jetzt erwachen wir in der echten Welt. In der Welt unserer Großeltern. Eine Welt, in der Krieg nicht die Ausnahme ist, sondern die Regel.
Willkommen in der Realität, Mutterficker. Es ist kalt hier.
10. Die neue Atombombe ist keine Bombe
Das größte Mißverständnis: Die Atombombe hat nicht den Krieg verhindert, sondern nur seine Form verändert.
Die neue Atombombe ist keine Bombe. Sie ist Algorithmus. Drohnenschwarm. Quantencomputer. Sie dezimiert keine Städte in Sekunden – sie zermürbt sie über Jahre.
Die Zukunft des Krieges ist nicht der große Flash, sondern der langsame Verfall. Nicht Hiroshima, sondern ein jahrelanges Ausbluten. Tod in Zeitlupe, hochauflösend gestreamt.
Und wir? Wir werden zuschauen. Auf unseren 8K-Bildschirmen. Während wir auf unsere Lieferando-Bestellung warten.
Die echte Horror-Show ist nicht die Explosion. Es ist die langsame Gewöhnung an das Unerträgliche. Die schrittweise Akzeptanz des Wahnsinns als neuen Normalzustand.
Ende des Transmissionsversuchs
Der Wecker zeigt 6:30 Uhr. Eine neue Eilmeldung leuchtet auf meinem Handy. Eine Stadt, deren Namen ich nicht aussprechen kann, brennt. Menschen sterben in einem Konflikt, dessen Ursachen ich nur halb verstehe.
Ich scrolle weiter. Das nächste Video ist eine Katze, die erschrocken von einem Toaster wegspringt. Ich lache. Dann schäme ich mich für das Lachen.
Dann putze ich mir die Zähne.
Nicht weil ich gleichgültig bin. Sondern weil der Wahnsinn weitergehen muß, damit die Vernunft eine Chance hat zu überleben.
Was soll ich auch sonst tun?
